Warum der Equal Pay Day nur an der Oberfläche kratzt: Eine radikale Perspektive auf den Gender Pay Gap

2022 fällt der Gender Pay Gap in Österreich auf den 30. Oktober, in der Steiermark auf den 26. Oktober. In Bezug auf den Einkommensunterschied zwischen weiblich und männlich gelesenen Personen bedeutet dies, dass weiblich gelesene Personen ab diesem Tag bis zum Jahresende gratis Lohnarbeit verrichten.

Fälschlicherweise wird der Gender Pay Gap als eine der letzten unerfüllten Forderungen bis zur vollendeten Geschlechtergerechtigkeit gehandelt. Der Gender Pay Gap ist allerdings Teil eines viel größeren strukturellen Problems, das jedoch in der Debatte um gerechte Gehälter von liberalen bis hin zu manchen linken Positionen meist gekonnt ausgeblendet wird. 

Die einer kapitalistischen Gesellschaft inhärente vergeschlechtlichte Arbeitsteilung, basierend auf dem Konstrukt der bürgerlichen Kleinfamilie, sieht folgendes vor: einen öffentlichen, der männlichen Zuständigkeit zugeschriebenen Bereich der Produktionsarbeit und einen privaten, der weiblichen Zuständigkeit zugeschriebenen Bereich der Reproduktionsarbeit (wie z.B. Haushalt, Pflege von Angehörigen, Erziehung, etc.), die u.a. auch die Arbeitskraft wiederherstellt.

Bis heute wird unbezahlte Reproduktionsarbeit nicht als Arbeit anerkannt und ist nach wie vor, so aktuelle Studien, ungerecht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt. Um diese Tätigkeiten erledigen zu können, haben viele weiblich gelesene Personen oft gar keine andere Wahl, als in Teilzeit-Jobs zu arbeiten.

Der Zugang von weiblich gelesenen Personen zu Erwerbsarbeit wird bis heute als große Freiheit verkauft. Während die Erledigung von Lohn- und Sorgearbeit für viele von ihnen zu einer Doppelbelastung führt, die sie an der Grenze der Belastbarkeit erledigen, delegieren privilegierte Personen die reproduktiven Tätigkeiten an migrantische Arbeitskräfte: als 24-Studenbetreuer*innen, als Putzkräfte, als Nannys. Reproduktionsarbeit ist somit noch immer weibliche Zuständigkeit, nur wird sie nun anhand rassistischer und klassistischer Faktoren organisiert. All dies muss beachtet werden, wenn vermeintliche Errungenschaften im Bereich der Lohnarbeit gefeiert werden.

Im bis heute konservativ geprägten Österreich liegt der Gender Pay Gap bei 17,1%, was deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt. Fest verankert sind in Österreich auch traditionelle Geschlechterrollen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass auch bei der Mehrheit vermeintlich progressiver Hetero-Pärchen traditionelle Geschlechterrollen einsetzen, sobald das erste Kind da ist. „Individuell einfach besser passende“ Entscheidungen sind dann die Argumente, die den Zwang verschleiern, den die politischen und ökonomischen Verhältnisse auf persönlicher Ebene ausüben. Die Arbeitsteilung hat durch die ungerechte Entlohnung zur Folge, dass sich Geschlechterrollen immer mehr verstärken.   

Gemäß neoliberaler Manier wird die Verantwortung, den Gender Pay Gap auszugleichen, natürlich auf das Individuum verlegt. Finanzbildung für weiblich gelesene Personen wird großgeschrieben und mag auf manchen Ebenen sinnvoll sein, lädt bereits überforderten Personen allerdings eine weitere Last auf den Buckel und vermittelt, sie hätten es eh selbst in der Hand, die strukturelle Ungerechtigkeit zu beenden. Auch Altersarmut ist nach wie vor weiblich und eine direkte Konsequenz der finanziellen Benachteiligung, die sich sowohl durch den Gender Pay Gap als auch den Gender Care Gap ergibt.

Sowohl traditionelle Geschlechterrollen und die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung sind Grundsäulen geschlechtsspezifischer Gewalt. Die daraus entstehenden Hierarchien befeuern ein Bild der Partner*in als Eigentum, die entweder „keine“ oder weniger „richtige“ Arbeit erledigt und dem hart arbeitenden Partner daher keinen Kummer bereiten dürfe. Finanziell benachteiligte Personen haben zudem nicht immer die Möglichkeit, den Partner einfach so zu verlassen. Auch in Bezug auf Femizide ist und bleibt Österreich Spitzenreiter.

Ungerechte Gehälter im Bereich der Lohnarbeit sind ein schwerwiegendes Problem, das allerdings nur an der Oberfläche einer viel größeren Schieflage kratzt: einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die patriarchale Strukturen immer brauchen wird, um weiterbestehen zu können. Reformen helfen zwar manchen Personengruppen und können deren Lage verbessern, Errungenschaften innerhalb des Systems werden aber immer wieder neue Verlierer*innen erzeugen. Der Gender Pay Gap muss somit nicht als zentrales Problem, sondern als ein Symptom des zentralen Problems betrachtet werden. Auf diese Weise wird es möglich, über eine gerechtere Gesellschaft mit einem anderen Arbeitsverständnis nachzudenken, über eine kollektive Organisierung von Reproduktionsarbeit und einem guten Leben für alle.